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Once a year, the Foundation organises a symposium focusing on topical issues relating to the cities. Future issues, approaches to solving current problems, and the result of the surveys conducted by the Foundation are discussed by representatives from the worlds of culture, politics, business and society. These fruitful discussions are made available to a wide specialist readership through the “Lebendige Stadt” journal.

Stadt im Wandel

Stadtumbau, Tourismus, Bildung

14. und 15. September 2006, Kongress in Essen

 

„Industriekultur als Option für die Zukunft“

Gewaltig sind die Herausforderungen, vor denen unsere Städte stehen. Die Bevölkerung schrumpft und altert, Arbeitsplätze in der Industrie verschwinden, das soziale Gefüge wackelt. Auf dem internationalen Kongress „Stadt im Wandel“, veranstaltet von der Stiftung „Lebendige Stadt“, diskutierten im September in Essen mehr als 600 hochrangige Vertreter aus zehn Ländern über mögliche Zukunftsperspektiven. Unter den Referenten: Bundesminister Wolfgang Tiefensee, Saarlands Ministerpräsident Peter Müller und CSU-Generalsekretär Dr. Markus Söder.

 

Drei Themenblöcke standen auf der Agenda des Stiftungskongresses in Europas Kulturhauptstadt 2010: „Stadtumbau und Revitalisierung“, „Bildung und Wissenschaft“ sowie „Städtetourismus“. Zu den über 600 Teilnehmern zählten allein 150 Oberbürgermeister, Bürgermeister, Parlamentsabgeordnete und Staatssekretäre sowie Wissenschaftler, Architekten, Stadtplaner, Wirtschaftskapitäne und Kulturschaffende. Schauplätze der Essener Tagung waren die Philharmonie, das Colosseum-Theater und das Unesco-Weltkulturerbe „Zeche Zollverein“.

 

„Diese Zeche, diese Stadt und das Ruhrgebiet führen vor, was in anderen Teilen Deutschlands und Europas noch bevorsteht“, sagte Bundesminister Wolfgang Tiefensee. Gerade in einer Zeit der Umbrüche müsse die Stadt ein Ort der Identifikation und der Begegnung sein. „Die Stadt muss eine europäische Stadt bleiben – urban, vielfältig und lebendig“, forderte Tiefensee. Der Bundesminister lobte ausdrücklich die Arbeit der Stiftung: „Die Lebendige Stadt führt vor, dass es im Kern darauf ankommt, Menschen zu begeistern und mitzunehmen sowie Leitbilder und mittelfristige Visionen zu entwickeln.“ Die Stiftung habe auf diese Weise bereits eine Menge bewegt und viele wertvolle Anstöße gegeben.

 

Alexander Otto, Kuratoriumsvorsitzender der „Lebendigen Stadt“, appellierte in seiner Ansprache an die Große Koalition in Berlin, das Gemeinnützig keitsrecht zu reformieren. Die Regelungen seien zu kompliziert und entsprächen nicht mehr den heutigen Anforderungen von Städten und Gemeinden, sagte Otto. So seien zum Beispiel das Amateurfunken, die Modellfliegerei oder auch der Hundesport gemeinnützig, die Umgestaltung eines städtischen Platzes aber in aller Regel nicht. Otto: „Die Menschen sollen ihre Ideen, ihre Kraft und ihr Geld in gemeinnütziges Engagement für unsere Städte investieren und nicht in Steuerberater und Widerspruchsbescheide.“ Beeindruckt zeigte sich Otto von den Stadtumbau-Erfolgen in Essen. Allein die drei Veranstaltungsorte des Kongresses in der Stadt seien hervorragende Beispiele für geglückte Umbauprozesse.

 

Kohlenstaub ist verschwunden

„Wir müssen mit Vorurteilen aufräumen“, sagte Essens Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Reiniger. Essen sei keine Bergbaumetropole mehr. Der Kohlenstaub vergangener Zeiten sei verschwunden. Für Maik Klokow, Vorstand der Stage Entertainment, die das Colosseum-Theater in Essen betreibt, ist die Ruhrgebietsmetropole einer der wichtigsten Standorte. „Essen muss sich auf seine Stärken konzentrieren. Dann kommen die Leute gern hierher“, sagte Klokow.

 

Auch Hermann Marth, Vorstandsvorsitzender der RAG Immobilien AG, äußerte sich für die Zukunft des Standortes Ruhrgebiet zuversichtlich. Zwar werde die Region einen Bevölkerungsverlust erleben. Trotzdem könne man nach vorn schauen, denn das Ruhrgebiet sei nicht nur der drittgrößte Ballungsraum des Kontinents, sondern auch einer der größten Absatzmärkte für Produkte und Dienstleistungen in Europa. Wichtig sei allerdings eine bessere interkommunale Zusammenarbeit und integrierte Planungsprozesse zwischen Wirtschaft und öffentlicher Hand – vor allem eine stärkere Nutzung von Public-Private-Partnership-Ansätzen.

 

Für PPP-Konzepte sprach sich auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller aus: „Ohne PPP-Projekte, ohne privates Kapital wird es nicht gelingen, die Industriekultur und das industrielle Erbe in eine Option für die Zukunft zu verwandeln.“ Orte wie die Zeche Zollverein oder die Völklinger Hütte im Saarland seien wichtige Plätze der Identität, die nicht aufgegeben werden dürften. „Wer diese Baudenkmäler des Industriezeitalters erhalten will, muss dafür sorgen, dass in ihnen neue Nutzungen stattfinden“, so Müller. Rein museale Verwendungen würden diesen Orten nicht gerecht.

 

An Bildung teilhaben

In seinem Impulsreferat zum Themenblock „Bildung und Wissenschaft“ unterstrich CSU-Generalsekretär Dr. Markus Söder die Bedeutung von Bildung für die Integration. „Ohne Bildung gibt es keine Chancen am Arbeitsmarkt. Ohne Chancen am Arbeitsmarkt gibt es keine Integration“, so Söder. Er forderte eine Neujustierung der sozialen Gerechtigkeit, die heute eine Teilhabegerechtigkeit an Wissen und Bildung sei: „Nur die Teilnahmechance an Wissen und Bildung ermöglicht auf Dauer soziale Gerechtigkeit.“

 

Die dramatische Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems beklagte Prof. Dr. Stephan A. Jansen, Präsident und Geschäftsführer der Zeppelin University in Friedrichshafen. Ein weiteres wesentliches Problem hierzulande sieht Jansen in der fehlenden Toleranz. In internationalen Rankings seien deutsche Städte weit abgeschlagen.

 

Einen ganzen anderen Aspekt zum Thema Bildung stellten Prof. Markus Schlegel von der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim und Philips-Geschäftsführer Robert Pfarrwaller in ihrem gemeinsamen Beitrag vor. Sie zeigten, wie die Lernatmosphäre an Schulen mit Farbe und Licht verbessert und gleichzeitig Gewalt vorgebeugt werden kann.

 

In einer Podiumsdiskussion, geleitet von Stiftungsvorstand Robert Heinemann, ging es um „PPP im Schulbau“. Leverkusens Oberbürgermeister Ernst Küchler berichtete über seine positiven Erfahrungen bei der Sanierung und dem Betrieb des örtlichen Berufsschulzentrums durch PPP. Renate Boese, stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in NRW, sieht in PPP-Modellen keinen Ausweg „aus dieser Bildungs- und Haushaltsmisere“. Ähnlich skeptisch äußerte sich Peter Becker, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Er hält Projekte wie in Hamburg für sinnvoller, wo eine städtische Gesellschaft mit dem Senat in einer so genannten Öffentlich-Öffentlichen Partnerschaft zusammenarbeitet.

 

Von Disneyland lernen

Den Themenblock „Tourismus“ eröffnete Jens-Joachim Brösel, Vicepresident DER Tours. Er unterstrich die Bedeutung eines guten Stadtmarketings. Gerade in kleineren und mittleren Städten müssten die Stadtväter ihre Gemeinden nach unverwechselbaren touristischen Attraktionen durchforsten. „Saubere Betten und typische Mahlzeiten allein reichen nicht mehr aus“, so Brösel. Auch Prof. Dr. Schmude von der Universität Regensburg fordert beim Städtetourismus „authentisches Potenzial“. „Das blinde Kopieren von Vorbildern führt hier nicht weiter“, so Schmude. Gefragt seien vielmehr Kreativität und Professionalität.

 

„Was können wir von Freizeitparks lernen?“, fragte Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät und lieferte die Antwort gleich mit: „Gutes Marketing!“ Auch in Bern habe es lange gedauert, bis man die „Perlen der Stadt“ erkannt habe: Fußball („Das Wunder von Bern“), Albert Einstein (lebte und forschte sieben Jahre in Bern) und Toblerone (wird nur in Bern hergestellt). Städte für solche Perlen oder Alleinstellungsmerkmale zu sensibilisieren und diese für das Stadtmarketing zu nutzen – das ist die Aufgabe von Experten wie Emmanuel Mongon vom Pariser Unternehmen Imaginvest, das auch in Bern tätig war. Für den Franzosen ist Disneyland ein Muster. Hier werde mit dem Slogan „The happiest place on earth“ das perfekte Erlebnis und ein Höchstmaß an Freude versprochen. Dahinter stecke ein rationaler Prozess, der auch auf den Städtetourismus übertragen werden könne.

 

Welche Impulse so genannte Low-Cost-Carrier durch preisgünstige Flugverbindungen für Städte und Regionen geben können, schilderte Air-Berlin-Chef Joachim Hunold. Dabei sei die Attraktivität der Stadt auch für die Rentabilität der Billigfluglinie von großer Bedeutung. Hunold stellte in diesem Zusammenhang aber klar: „Wir haben in Deutschland inzwischen genug Flughäfen. Wir brauchen keine neuen.“

 

Eine weitere Facette und Chance im Bereich Städtereisen ist der Medizintourismus. Dazu referierte Axel Steller, Geschäftsführer der Arab German Health Foundation GCC aus Dubai. Sehr viele zahlungskräftige Medizintouristen kommen unter anderem aus den Golfstaaten oder aus Russland zur medizinischen Behandlung nach Deutschland – oftmals auch begleitet von ihren Familien. In diesem Bereich würden die Potenziale für den Städtetourismus noch nicht ausreichend genutzt, so Steller.

 

Eine wichtige Rolle im Städtetourismus spielen schließlich auch Kunst und Kultur. Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin präsentierte in diesem Zusammenhang das „Museum Kunst Palast“ als gelungenes PPP-Modell zwischen der Stadt und dem VEBA-Konzern, heute E.on. Kulturelles Engagement, so E.on-Vorstand Dr. Johannes Teyssen, fördere die gesellschaftliche Verankerung und verbessere das Image des Unternehmens.

 

Weitere Referenten auf dem Essener Kongress waren Microsoft-Director Norman Heydenreich, Prof. Floris Alkemade vom Rotterdamer Architekturbüro Rem Kohlhaas, die Mülheimer Dezernentin Helga Sander, Dr. Irene Wiese-von Ofen vom Agenda-Forum Essen, die Architektin Alexa Waldow-Stahm, Dr. Jochen Stemplewski von der Emscher Genossenschaft, der Essener Kultur- und Bildungsdezernent Dr. Oliver Scheytt, Joachim Tefett von der Hochtief PPP Solutions GmbH, Herbert Tragesser von der Kreisverwaltung Offenbach, Detlef Kornett von der Anschutz Entertainment Group, die Berliner Staatssekretärin Susanne Ahlers sowie der damalige NRW-Landtagsvizepräsident und jetzige Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Dr. Michael Vesper.

 

Kulturelle Qualitäten des Ruhrgebiets

Umrahmt wurden die Themenblöcke des Kongresses von einem ab­wechslungsreichen und unterhaltsamen Kulturprogramm. So besuchten einige Kongressteilnehmer schon am Vorabend gemeinsam das Konzert der stimmgewalti gen Soulsängerin Jocelyn B. Smith in der Essener Philharmonie. Am Donnerstagabend fand im Foyer des Colosseum-Theaters ein Dialog zwischen Wirtschaft, Politik, Kultur, Wissenschaft und Kommunen statt – kulturell untermalt durch Szenen aus Musical-Klassikern. Ebenfalls zum Kongress-Programm gehörte die Besichtigung der Ausstellung „Entry 2006“ auf Zollverein. Diese Schau für Architektur und Design wurde von international renommierten Kuratoren konzipiert. Ihre zentralen Fragen lauteten: Wie werden wir morgen leben? Wie sehen die Produkte, Häuser, Kleider und Möbel des 21. Jahrhunderts aus?

 

Der Essener Kongress „Stadt im Wandel“ war bereits die sechste Stiftungsveranstaltung dieser Art: 2001 tagte die „Lebendige Stadt“ im NRW-Forum in Düsseldorf, 2002 in der Autostadt Wolfsburg, 2003 in den Leipziger Messehallen, 2004 im Hamburger Hafen und im vergangenen Jahr in der Münchner Allianz Arena. Auch der Ort für den nächsten Stiftungskongress im Jahr 2007 steht bereits fest: der Flughafen Tempelhof in Berlin.