Stiftung „Lebendige Stadt”

Seit dem Jahr 2000 engagiert sich die Stiftung „Lebendige Stadt” unter ihrem Kuratoriumsvorsitzenden Alexander Otto erfolgreich für die Zukunft unserer Städte. Die urbane Vielfalt aus Arbeit, Kultur und Wohnen gilt es zu erhalten und mit zu gestalten. Themenschwerpunkte bilden die Bereiche Licht, Grün und Gestaltung öffentlicher Räume.

Dr. Andreas Mattner

Bürgerbeteiligung ist „in“: Immer mehr Bürger wollen die res publica mitgestalten. Sieht so Politikverdrossenheit aus? Nein, und das ist auch gut so. Bürgerbeteiligung führt zu mehr Identifikation, zur Beachtung sonst übersehener Entscheidungsparameter und hat schon manche Fehlentwicklung verhindert. Sie ist daher auch seit Jahrzehnten in der Bauleitplanung gesetzlich fest verankert.

Vom Wutbürger und den „Fünf“ Gewalten

Bürgerbeteiligung ist „in“: Immer mehr Bürger wollen die res publica mitgestalten. Sieht so Politikverdrossenheit aus? Nein, und das ist auch gut so. Bürgerbeteiligung führt zu mehr Identifikation, zur Beachtung sonst übersehener Entscheidungsparameter und hat schon manche Fehlentwicklung verhindert. Sie ist daher auch seit Jahrzehnten in der Bauleitplanung gesetzlich fest verankert.

 

Und trotzdem muss man nicht jede Form der Partizipation an oder neben der Legislative als „Erster Gewalt“ im Staate uneingeschränkt positiv sehen. Schließlich hatten sich die Väter des Grundgesetzes angesichts der Weimarer Erfahrungen schon etwas bei der repräsentativen Ausgestaltung unseres Gemeinwesens gedacht. Doch in immer mehr Kommunal- und Landesverfassungen sind inzwischen plebiszitäre Elemente verankert und der Ruf nach direkter Demokratie nimmt weiter zu.

 

Gerade bei Großprojekten erleben wir dies heute im Rahmen der durchaus handfesten Konflikte zwischen Projektbefürwortern und -gegnern. Wer sich an den Bau der Startbahn West oder der Atomkraftwerke erinnert, der weiß, dass derartige Proteste keine neue Erscheinung sind. Neu ist, dass die Bewegung tief in bürgerliche Schichten reicht und sich anderer Instrumente bedienen kann: Der „Wutbürger“ war geboren, der nicht nur demonstrieren, sondern entscheiden will.

 

Für diese neue Dimension des Bürgerengagements gibt es im Wesentlichen drei Gründe:

 

  1. Viele Menschen haben spätestens seit Beginn der Finanzkrise Zweifel an der Unfehlbarkeit der Märkte und der Überlegenheit der Privatwirtschaft. Sie fürchten gerade bei Großprojekten, dass die Exekutive als „Zweite Gewalt“ in Verhandlungen mit privaten Investoren per se unterlegen ist und daher die Interessen der Allgemeinheit nicht ausreichend vertreten werden. Zudem haben sie das Gefühl, dass über die Entwicklung ihrer Stadt im kleinen Kreis und unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden wird.
  2.  „Stuttgart 21“ hat gezeigt, dass nicht allein fehlende Mitwirkungsmöglichkeiten Protest hervorrufen – schließlich gab es über 10.000 Einsprüche gegen das Bahnprojekt. Problem war vielmehr die sehr lange Verfahrensdauer, die insbesondere durch Einschaltung der Judikative als „Dritte Gewalt“ nicht selten erheblich ausgedehnt wird. Während dieser langen Verfahrensdauer verändern sich Bedürfnisse und Wahrnehmungen der Menschen, gleichzeitig schwindet aufgrund der immer weiter auflaufenden Kosten die Flexibilität der Investoren. Darüber hinaus können zu lange Planungs- und Genehmigungsprozesse dazu führen, dass jahrelange Vorbereitungen zunächst von der Bevölkerung kaum wahr oder nicht ernst genommen werden. Erst unmittelbar vor dem Baubeginn entsteht dann eine Gegenbewegung, wobei zu diesem Zeitpunkt aufgrund rechtsgültiger Entscheidungen weder die Stadt noch der Investor einen wirklichen Handlungsspielraum für Verhandlungen haben.
  3. Und leider entsteht Partizipation auch aus rein egoistischen Motiven: Beispielsweise aus Sorge um Lärmbelästigung durch eine geplante Kindertagesstätte oder aus Angst vor Verkehr durch den Bau neuer Wohnungen. Das Engagement gilt dann primär der Wahrung des persönlichen Status quo, das persönliche Interesse wird über das Allgemeinwohl gestellt. So wandelte sich der altbekannte „St. Florian“ zum neuen „Wutbürger“. Da bei Bürgerentscheiden oft nur die Betroffenen zur Abstimmung gehen, nicht aber ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung, führt dies tendenziell zu Stillstand.

 

Von daher ist es kein Zufall, dass sich führende Politiker in Hamburg – dem Bundesland mit der weitgehendsten Bürgerbeteiligung – inzwischen für Quoren bei Bürgerentscheiden oder sogar gegen die Bindungswirkung von Entscheiden (so der ehemalige Erste Bürgermeister von Beust) aussprechen.

 

Wie kann man die Vorteile einer stärkeren Bürgerbeteiligung nutzen, ohne dass die Nachteile zu sehr durchschlagen? Nach einer Forsa-Umfrage von 2011 sieht jede achte Kommune darin die größte Herausforderung für die nächsten drei Jahre, 97 Prozent der öffentlichen Verwaltungen wollen Bürgerbeteiligung stärken.

 

Die Stiftung „Lebendige Stadt“ hat sich zuletzt im November 2011 in Dortmund intensiv mit dieser Thematik befasst. Dabei wurde deutlich: Schon heute gibt es vielfältige Formen der Partizipation:

 

  • Zahlreiche Städte beteiligen ihre Bürger über Bürgerhaushalte an der kommunalen Haushaltsplanung. So haben Essens Bürger Sparvorschläge machen und bewerten können. Kürzungen im Umfang von 263 Mio. Euro wurden von den Bürgern gebilligt – darunter eine so unpopuläre Maßnahme wie eine Schulschließung. Beteiligung sorgt in diesem Fall für ein stärkeres Kostenbewusstsein und zugleich steigt die Legitimation für die Entscheidung.
  • Mit Hilfe einer „Planungszelle“ wurden in Aachen die Müllgebühren neu geregelt. Nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger erstellten dabei in einer mehrtägigen Projektarbeit ein „Bürgergutachten“, in welchem sie Empfehlungen an die Politik und Verwaltung aussprechen.
  • Und wenn die Fronten zwischen zwei Lagern verhärtet sind, gibt es Mediationsverfahren wie etwa beim Konflikt um die inzwischen fertig gestellte neue Startbahn des Frankfurter Flughafens.

 

Eine solche möglichst frühzeitige und fortlaufende Beteiligung wirkt Ängsten und Vorbehalten entgegen und schafft Akzeptanz. Konflikte werden versachlicht und zudem machen kreative Ideen und ein konstruktiver Dialog unsere Städte lebendig und lebenswert. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Medien als „Vierte Gewalt“ ihrer Verantwortung gerecht werden und eine konstruktive Rolle spielen. Straffe Entscheidungs- und Planungsprozesse müssen parallel sicherstellen, dass Projekte unter den Entscheidungsvoraussetzungen und im geplanten Kostenrahmen realisiert werden.

 

Mit der Entscheidungsfindung endet überdies nicht die öffentliche Informationspflicht: Über die weitere Entwicklung ist zu informieren und weiter um Zustimmung zu werben. Info-Points, wie bei den Großprojekten am Potsdamer Platz in Berlin oder in der HafenCity in Hamburg, sind dabei sehr förderlich. Wichtig ist es, die Kosten für solche Informations- oder Beteiligungskampagnen frühzeitig in die Planungs- und Entwicklungsbudget einzustellen.

 

Die Stiftung „Lebendige Stadt“ hat mit der Einbindung von Bürgern sehr positive Erfahrungen gemacht: So wurden bei der Neugestaltung des Hamburg Jungfernstiegs viele vom Umbau betroffene Akteure eingeladen, im eigens gegründeten Verein „Lebendiger Jungfernstieg“ die eigenen Interessen in die Planungen einzubringen und den Umbau zu begleiten.

Über das Ergebnis dieses Dialogs freuen sich heute neben den Hamburger Bürgern auch die Besucher der Stadt. Und auch in Essen wurden die Bürger in die Gestaltung des Essener Krupp-Parks eng eingebunden: Kinder und Jugendliche haben Vorschläge für Spiel- und Sportbereiche gemacht, Bürger Spielplatzpatenschaften übernommen und Erwerbslose wurden über Pflanzaktionen an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt.

 

Wer die Bürger hingegen nicht oder nicht ausreichend beteiligt, der riskiert es, dass die Bürger die Entscheidung mit einem Bürgerentscheid selbst in die Hand nehmen. Frühzeitige Bürgerentscheide können dabei durchaus eine befriedende Wirkung haben und rechtzeitig für Planungssicherheit sorgen.

 

Klar ist aber auch, dass Bürgerentscheide nur eine vereinfachte Abstimmung mit „Ja“ oder „Nein“ zulassen. Kompromisse oder die sorgfältige Erarbeitung verbesserter Lösungen werden dadurch nicht selten erschwert. Zudem wird die Debatte kurz vor einem Bürgerentscheid deutlich emotionalisiert, nicht selten auch unsachlich. In der Publikative, das heißt in den teilweise auch als neue „Fünfte Gewalt“ bezeichneten sozialen Netzwerken und Internetplattformen, kann heute weitgehend ungestraft jede falsche Tatsache veröffentlicht werden, wo sie sich mit blitzartiger Geschwindigkeit verbreitet. Schlimmstenfalls schreibt dann noch die „Vierte“ von der „Fünften Gewalt“ ab und das virtuelle Unglück nimmt einen realen Lauf.

 

Man sollte abschließend nicht vergessen, dass es eine große Stärke der repräsentativen Demokratie ist, dass sich die Volksvertreter zum Zeitpunkt der Entscheidung klar positionieren und für ihre Meinung und Abstimmung später einstehen müssen. Hingegen kann für das Ergebnis eines Bürgerentscheids später niemand zur Verantwortung gezogen werden.

 

Dr. Andreas Mattner

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